Die LPG und die Wende

Im Herbst 1989 war die Situation irgend wie kribbelig. Die Flüchtlinge in Ungarn und in der Prager Botschaft, dazu die Leipziger Montagsdemonstrationen schafften eine Atmosphäre, in der man nicht wußte, wie es weitergehen wird. Man sagte zwar immer, "so kann es nicht weitergehen" das aber unser Stasistaat so einfach und schnell zusammenbrechen würde, haben wir alle nicht geglaubt. Viele Hoffnungen setzten wir auf den Besuch Gorbatschows. Im LPG-Büro hatte ich im Schreibtisch ein kleines Radio auf dem wir, wenn möglich, die Deutsch­landfunk-Nachrichten hörten.

Ich habe schon oft an den Abend gedacht, als Günter Schabowski fast am Ende der Fernseh-Nachrichten wie nebenbei die Öffnung der Grenzen bekannt gab. An diesem Abend saßen wir bis spät in die Nacht am Fernseher.

In diesen Tagen sagte ich einmal zu unserem Parteisekretär: "Ich denke, ich habe in einer großen Zeit gelebt. Ich habe noch gesehen, wie vor 1933 kommunistische Wahlplakate von einem Lichtmasten gerissen wurden, ich habe die ganze Nazizeit mit dem 2. Weltkrieg erlebt, das Kriegsende und den Wiederaufbau, dann sah ich den Aufbau des Sozialismus und dessen Zusammenbruch und nun erlebe ich auch noch den Beginn des Kapitalismus." Er hat mir nicht geantwortet.

Nachdem nun die Grenzen offen waren, versuchten wir auf den verschiedensten Wegen zu Informationen über die westdeutsche Landwirtschaft zu kommen. Ebenso wurden wir von westdeutschen Kollegen, Vereinen und Verbänden zum Erfahrungsaustausch eingeladen.

 

Im Frühjahr 1990 sollte die VdgB in den Bauernverband umgewandelt werden. In den Kooperationsbereichen des Kreises wurden Versammlungen durchgeführt, in denen die LPG-Betriebsgruppenvorsitzenden die Delegierten für Suhl wählen sollten. Jeder Kooperations­bereich sollte zwei Delegierte benennen. In unserem Bereich war schon ein Funktionär "gesetzt" worden. Warum erfuhren wir später. Er war ein IM des MfS. Als zweite Person war ich vorgeschlagen worden. Als dann auf einer Kreisversammlung in Globig in geheimer Wahl die Vertreter des Kreises Wittenberg gewählt werden sollten, stand ich nicht mehr auf dem Stimmzettel. An meiner Stelle war ein Genosse der SED-Kreisleitung nominiert worden. In der Delegation des Kreises befanden sich noch mehrere Genossen der SED-Kreisleitung.

Der für diesen "demokratischen" Schwindel verantwortliche VdgB-Kreisvorsitzende hat jetzt eine Spitzenposition beim Bauernverband in Sachsen / Anhalt. Da soll denn einer sagen mit den roten Seilschaften hätte es nicht geklappt.

 

Nach etwa 30 Jahren konnten wir erstmals wieder die Grüne Woche besuchen. Die Art der Ausstellung hatte sich völlig verändert und für die vielen Angebote auf dem Lebens­mittel­sektor und dem Bereich der Gastronomie hatten wir kein Geld. Sehr interessant waren aber die Fachtagungen an denen ich teilnehmen konnte. Hier konnte man hören und erkennen was nach einer Wiedervereinigung auf uns zukommen würde.

Diese Übergangszeit bereitete uns in der LPG Tierproduktion große Probleme. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Produktion und Absatz genau geplant. Wenn man Geld hatte, war Zukauf zu dieser Zeit kein Problem mehr.

Leute, die unsere Probleme nicht kannten wunderten, sich darüber, daß wir unser Vieh teil­weise zu Schleuderpreisen verkauften. Wir mußten es.

In unserer sozialistischen Planwirtschaft war alles so geplant und vertraglich abgesichert, daß wir im Januar genau wußten, wer uns in der 45sten Woche wie viel Schweine, Kälber oder Broiler abnimmt bzw. wieviel bei uns in der entsprechenden Woche zur Ablieferung bereit­stehen mußte bzw. wieviel hochtragende Färsen mit welchen Abkalbetermin zugekauft wer­den sollten. Infolge der hohen vorgeschriebenen Ablieferungsnormen waren unsere Stall­anlagen bis zum Gehtnichtmehr ausgelastet.

Mit der Wende geriet alles ins schwimmen. Alle hatten etwas von Marktwirtschaft gehört und wollten den Stein des Weisen finden. Unser Markt zum Osten brach zusammen. Bei den Schweinen war es nicht ganz so problematisch, denn die konnten wir im Sommer in den Wald jagen. Durch die verlängerte Mastzeit wurden sie zu fett und niemand wollte sie.

Wie es uns mit den Broilern ging habe ich schon erwähnt. Am schlimmsten war es bei den Kälbern. Bisher wußten wir wie viel Kälberplätze in den einzelnen Wochen und Monaten gebraucht werden. Im Durchschnitt fielen im Monat etwa 12o Kälber an. Minus Eigenbedarf und Verluste mußten also in jedem Monat ca 45 weibliche und 55 männliche Kälber verkauft werden. Da wir keine zusätzlichen Aufzuchtmöglichkeiten hatten, begann hier der große Jammer. Viele die die damaligen Verhältnisse nicht miterlebt haben werden heute sagen: Ja warum habt ihr denn soviel Vieh gehalten? Die Anzahl der Kühe und Sauen waren vorgeschrieben und davon gab es keine Abstriche. Unsere Planzahl für Kühe waren 1320 Stück. Aus verschiedenen Gründen lag die durchschnittliche Milchleistung bei etwa 3400 Liter je Kuh und Jahr.

Auch wenn nicht genügend Futter geerntet werden konnte, durfte diese Planzahl nicht ver­ändert werden.

Hierzu ein Beispiel: Ende der 80-er Jahre gab es in Thüringen infolge katastrophaler Trocken­heit ungeheure Futterprobleme. Trotzdem durften die Tierbestände nicht reduziert werden, denn der Plan war Gesetz.

Fuhr man damals mit dem Auto auf der jetzigen A9, befand man sich in einer riesigen Silageduftwolke. Die Thüringer kauften und holten mit unendlichen LKW-Transporten von Mecklenburg Silagen. Dort hatte man scheinbar viele, wenn auch nicht immer gute Vorräte. Ich habe selbst gesehen, daß man damals in Mecklenburg Silagen schlechter Qualität wie Stallmist auf das Feld gestreut hat um die Silos zu räumen. Die Thüringer mußten aber alles kaufen denn: Der Plan war Gesetz..

Wenn ich damals im Betrieb die Rindfleischproduktion plante, ging ich von einem Durchschnittsgewicht von 480 kg /Tier aus. Das war schon hochgegriffen, denn wir lieferten manchmal auch Kühe ab die unter 400 kg wogen.

Bis zur Wende hatte unsere Pflanzenproduktion einen relativ hohen Kartoffelanbau. Einmal war es viel Saatgutvermehrung, aber auch Speise- und Futterkartoffeln. Da in allen Bereichen die Absatzmärkte zusammengebrochen waren, wurden teilweise im Herbst gar nicht alle Kartoffeln geerntet, bzw. im nächsten Frühjahr wurden verfaulte Restbestände untergepflügt.

Die Pflanzenproduktion Zahna teilte sich in die Bereiche Mühlanger und Zahna und vereinigte sich wieder mit den Tierproduktionsbetrieben.

Zur Zeit werden im Bereich Mühlanger keine Kartoffeln angebaut. Angeblich ist der Anbau

nicht rentabel.

Ich frage mich, warum bauen dann die Bauern in den alten Bundesländern Kartoffeln an und beliefern die ostdeutschen Märkte? Unsere Betriebe bauen dafür hochsubventionierte Öl­früch­te an. Wie kann sich ein Betrieb gesund entwickeln, wenn er sich nur auf EG-Zuschüsse verläßt ? Da man als Rentner keinen Durchblick mehr hat, sollte man sich nicht mehr mit solchen Überlegungen befassen.

In der Agrargenossenschaft Mühlanger sind seit der Wende ca. 200 Arbeitskräfte entlassen worden.

Im Frühjahr 1990 kamen die ersten Händler mit Westprodukten auf den Markt. Große Be­völkerungsteile kauften jetzt nur noch Westprodukte. Ich würde verstehen, wenn es sich um Produkte gehandelt hätte, die es bei uns bis dahin nicht gab.

Viele pfiffige fahrende Händler kauften billige Osteier, packten sie in Westkisten und ver­kauf­ten sie als hochwertige Westeier, oder bei uns in der LPG kauften westdeutsche Einkäufer die Rinder zu Billigstpreisen auf, schlachteten sie im Westen und brachten sie als hoch­wer­tiges Qualitätsfleisch zurück.

Viele Geschäftemacher und Spekulanten kamen, um das große Geschäft zu machen und dann mit dem Geld zu verschwinden. Ich denke dabei an unsere Konsumgenossenschaft oder an Eisen­schmidt.

Betriebe wie die Molkerei Schmiedeberg, nach der Wende erst modernisiert, gingen Pleite weil die westdeutschen Handelsketten ihre Produkte nicht listeten. Diese Molkerei produzierte Kräuterquark in einer Qualität, wie ich sie bis jetzt bei westdeutschen Produzenten noch nicht gefunden habe.

Vielleicht hätten wir jetzt weniger Arbeitslose, wenn wir damals bewußter eingekauft hätten.

An allen Ecken begann nach der Währungsunion ein reges Baugeschehen. Viele Straßen wur­den aufgerissen weil, Telekom und die Erdgasversorgung zügig ihre Leitungen verlegten.

Auch wir erhielten verhältnismäßig schnell einen Telefonanschluß.

In der Stadt wurden die Radfahrwege mit neuen Schwarzdecken versehen. Ebenso wurden viele Kreis-und Bundesstraßen schnell in einen guten Zustand versetzt. Verblüffend war für uns der Einsatz und der Umfang der für Bau- und Erdarbeiten eingesetzten Technik.

Die Zuführung der meist gebrauchten PKW brachte enorme Parkplatzprobleme.

Vom Westen kommende Grundstücksmakler gaben sich die Klinke in die Hand. Auch ich lernte verschiedene kennen. Meist wollten sie für einen Apfel und ein Ei die Grundstücke erwerben.

 

 

   



Weiterlesen: Die Pflanzenproduktion